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Brotscheiben

© Pexels/Cottonbro Studio

Was essen als Schwangere? Vor allem Eiweiß!

Werdende Mütter machen alles, damit es ihrem Ungeborenen gut geht. Beim Essen als Schwangere sollte auf jeden Fall die 30-20-30-Regel dazugehören.

Kein Sushi mehr, kein Carpaccio – und wie war das noch gleich mit dem Käse? Bei der Ernährung in der Schwangerschaft haben Frauen eine Verbotsliste im Kopf: Was dürfen sie jetzt noch essen, was nicht? Viel wichtiger ist es aber, die essentiellen Makronährstoffe zu kennen, sagt Dr. Dietmar Moosburger, Gynäkologe und Experte für Pränatale Diagnostik in Salzburg. Denn während der Schwangerschaft wird über die Ernährung (und weitere Faktoren) der Stoffwechsel des ungeborenen Kindes geprägt. Die Forschung geht sogar von folgendem aus: Die Wahrscheinlichkeit, im Verlauf des Lebens an bestimmten chronischen Erkrankungen zu leiden oder eben nicht, kann schon im Mutterleib geprägt werden. Stichwort: fetale Programmierung.

Herr Dr. Moosburger, schwangere Frauen wollen das heranwachsende Leben in ihnen schützen, auch beim Essen. Welche Lebensmittel sollten sie besser vermeiden?

Dr. Dietmar Moosburger: Lebensmittelinfektionen durch Listerien und Toxoplasmose-Erreger sind in westlichen Ländern extrem selten geworden. In Österreich wird zu Beginn der Schwangerschaft der Immunstatus im Blut getestet. Sind Antikörper vorhanden, ist die Schwangere vor einer weiteren Infektion geschützt. Das gilt allerdings nicht für Listerien. Gegen diese Bakterien kann man keine Immunität entwickeln. Der Übertragungsweg ist der gleiche wie bei Toxoplasmose. Vorbeugen ist ganz einfach: keine rohen Lebensmittel vom Tier. Tierische Lebensmittel müssen auf 70 Grad erhitzt werden. Optimal ist eine frisch zubereitete Kost. Salat und Gemüse, das roh gegessen wird, muss sehr gründlich gewaschen werden. Wichtig ist außerdem eine gute Hygiene in der Küche und bei der Zubereitung. Dann kann nichts passieren.

Als werdende Mutter bekommt man schnell den Eindruck, fast nichts richtig – aber alles falsch machen zu können. Woran liegt das?

Was aus meiner Sicht das größte Problem bei der Ernährung von Schwangeren ist: Sie werden nicht ausreichend über den Nährstoffbedarf ihres Babys informiert. Weder von ihren Ärztinnen oder Ärzten noch in anderen Informationsquellen. Im Internet findet man selbst bei Informationen für Fachpersonal nur Listen mit dem Mehrbedarf an speziellen Mikronährstoffen wie Folsäure, Jod, Eisen Vitamin D und Omega 3. Mit keinem Wort wird aber der Mehrbedarf erwähnt, der speziell den Makronährstoff Eiweiß betrifft. Wieso dieses Wissen nicht flächendeckend weitergetragen wird, weiß ich nicht.

Warum ist Eiweiß denn so wichtig?

In der Phase, in der ein neuer Körper entsteht, werden in erster Linie Baustoffe benötigt und kaum Brennstoffe.

Baustoffe sind jene Makronährstoffe, die unser Körper fürs Wachstum benötigt, also: Eiweiße. Brennstoffe hingegen sind Kohlenhydrate und Fette, also Makronährstoffe, die dem Körper Energie liefern für Bewegung, Denken und Wärme und fürs Wachstum.

Genau. In der Schwangerschaft steigt der Bedarf an einer Reihe von Vitaminen und Mineralstoffen – das kann aber durch eine geeignete Lebensmittelauswahl gedeckt werden oder gegebenenfalls durch Supplemente. Am wichtigsten ist es aber, den erhöhten Eiweißbedarf im Blick zu haben. Denn die Billionen von Zellen eines Babys entstehen aus den Aminosäuren, die durch den Abbau von Eiweiß gewonnen werden. Ein Eiweiß ist eine Kette aus Aminosäuren. Besonders wichtig sind die essentiellen Aminosäuren, die wir nur durch Nahrung zu uns nehmen können. Bekommt das Ungeborene diese nicht, kann es Aminosäuren nur durch den Muskelabbau der Mutter gewinnen. Weil ihm aber die essentiellen Aminosäuren fehlen, entstehen wiederum fehlerhafte Zellen. Außerdem kann das Ungeborene nicht ausreichend eigene Muskelzellen aufbauen. Ich beschreibe es gern mit diesem Bild: Die essentiellen Aminosäuren aus der Nahrung sind für das Baby wie eine optimale Dreifachverglasung. Die Aminosäuren aus dem Muskelabbau der Mutter nur eine Einfachverglasung.

Welche konkreten Ernährungstipps geben Sie Ihren schwangeren Patientinnen?

Der Eiweißbedarf in der Schwangerschaft liegt pro Tag bei 2 g/kg Körpergewicht. Gut zu merken ist die 30/20/30-Regel: In der Früh sollten Schwangere 30 Gramm Eiweiß zu sich nehmen, zu Mittag 20 Gramm und am Abend wieder 30 Gramm. Auch die Zwischenmahlzeit ist am besten eiweißreich. Beispielsweise 500 ml Buttermilch oder eine 200 g Packung Cottage Cheese oder ein Original Griechisches Joghurt oder eine Dose Thunfisch oder Sardinen. Ich empfehle meinen Patientinnen, jeden Tag zwei Eier zu essen.

Gilt für Schwangere eigentlich der Satz: «Essen für zwei»?

Es braucht keine erhöhte Energiezufuhr in Form von Kohlenhydraten. Denn der Energieverbrauch steigt vor allem durch den Energiebedarf für die Gewebebildung und das fetale Wachstum. Das wird erst im 3. Trimester relevant. Zu diesem Zeitpunkt aber bewegen sich die Frauen in den meisten Fällen schon viel weniger, also ändert sich die Energiebilanz gegenüber dem nichtschwangeren Zustand nicht. Aber: «Essen für zwei» gilt für schwangere Frauen insofern, als sie essen sollten, als würden sie mit ihrem Kind am Tisch sitzen und sich überlegen, was auf den Teller des Kindes kommt. Sie sollten für zwei denken und das essen, was das Baby zum gesunden Wachsen braucht.

Im Grunde ist es ja sonnenklar: Was Schwangere essen, hat Auswirkungen auf ihr Ungeborenes. Aber wie weitreichend die Konsequenz sein können, wissen wohl die wenigsten …

Wie diese ersten neun Monate vor der Geburt den Rest unseres Lebens gestalten, ist in der breiten Öffentlichkeit kaum bis gar nicht bekannt. Obwohl diese Erkenntnis seit Jahrzehnten wissenschaftlich bewiesen und Jahr für Jahr immer mehr untermauert wird. Die Wissenschaft spricht dabei von «fetaler Programmierung»: Alle nicht durch Infektionen ausgelösten Erkrankungen im Verlauf eines menschlichen Lebens haben ihren Ursprung in der Zeit vor der Geburt. Diesen vorgeburtlichen Ursprung zu kennen, macht den Mutterleib zu einem vielversprechenden Ort für die Prävention der häufigsten Zivilisationserkrankungen. Schwangere können ihrem ungeborenen Kind schon sehr viel Gutes tun.

Gibt es viele wissenschaftliche Studien zur fetalen Programmierung?

Unendlich viele. PubMed findet rund 190 000 mit dem Suchbegriff «fetal programming», Google Search sogar 20 Millionen. Die Internationale Vereinigung für Gynäkologie und Geburtskunde, die FIGO, informierte in einem Vortrag darüber, wie der westliche Lebensstil in der Schwangerschaft zu einem «slow motion disaster» führe. Das bedeutet umgekehrt wie gesagt, dass werdende Mütter eine enorme Chance haben, positiv auf die Lebensumstände ihres Kindes Einfluss zu nehmen.

Wie wird das Ungeborene im Mutterleib programmiert?

Alles, mit dem die Mutter im täglichen Leben in Berührung kommt, teilt sie mit dem Fötus: Die Luft, die sie einatmet, Nahrung und Getränke, die sie konsumiert, Giftstoffe, denen sie ausgesetzt ist oder die sie konsumiert, Emotionen, die sie empfindet. Der Fötus absorbiert hungrig diese mütterlichen «Zuwendungen» und baut sie in seinen Körper ein, macht sie also zu seinem Fleisch und Blut. Die Zellen des Babys müssen nicht nur gebaut werden, sondern auch ihre Funktion muss erlernt werden. Ich finde den Ausdruck «Intrauterine Universität» dafür sehr passend. Es hängt alles von der so genannten Epigenetik ab – also der Intrauterinen Umgebung, in der sich die Gene entwickeln können.

Haben Sie dafür ein Beispiel aus der Forschung?

Am besten untersucht ist die Entstehung der angeborenen Insulinresistenz, die im späteren Leben zu Diabetes und dem metabolischen Syndrom führt. Dieses wiederum ist für die häufigsten chronischen Erkrankungen verantwortlich. Was passiert in der „Intrauterinen Universität“, wenn sich die Schwangere mit vielen Kohlenhydraten ernährt – der typischen Ernährung in westlichen Industrieländern? Die Kohlenhydrate werden zu Glucose abgebaut, die dann eins zu eins den Mutterkuchen passiert und ins Blut des Fötus gelangt. Weil der aber kaum Energiebedarf hat, muss er die Unmenge an Glucose loswerden. Wie macht er das? Indem er besonders viele Zellen baut, die Insulin produzieren.

Diese überschüssigen Zellen werden nach der Geburt aber nicht abgebaut, sondern produzieren weiter Insulin auf Teufel komm raus. Damit das Baby jetzt keinen Unterzucker bekommt, ziehen sich die Insulinrezeptoren zurück. Das nennt man Insulinresistenz. Zusätzlich werden die Zellen im Hypothalamus durch die viele Glucose im Blut des Fötus dauerhaft auf Schlaraffenland geeicht: Sie werten im späteren Leben eine normale Ernährung als akute Hungersnot. Diese Kinder werden sehr oft übergewichtig und haben ein hohes Risiko, einen Diabetes zu entwickeln.

Gibt es sensible Zeiten, in denen das richtige Essen als schwangere Mutter besonders stark den Stoffwechsel des Babys beeinflusst? 

Im Verlaufe der Schwangerschaft entstehen Billionen von Zellen eines Babys. Deshalb ist die regelmäßige Zufuhr von Baustoffen, also Eiweiß, in jeder Phase der Schwangerschaft essentiell. Allerdings bildet sich in den ersten 16 Wochen einer Schwangerschaft der Mutterkuchen – dann ist die eiweißreiche Ernährung besonders wichtig. 2022 hat die spanische Pränatalmedizinerin Francesca Crevetto die höchste Auszeichnung der ISUOG (International Society of Ultrasound in Obstetrics and Gynecology) erhalten. Sie konnte nachweisen: Eine eiweißreiche, mediterrane Kost kann viele Fälle von fetalen Wachstumsstörungen verhindern, die immer von einer Entwicklungsstörung des Mutterkuchens ausgehen.

Zu wissen, dass man als Schwangere dem eigenen Kind womöglich Diabetes in die Wiege legt, erzeugt einen immensen Druck. Wie nehmen Sie als Gynäkologe werdenden Müttern diesen?

Wenn es stimmt, dass das mütterliche Verhalten in der Schwangerschaft das Baby für den Rest seines Lebens beeinflussen kann, was braucht es dafür? Die persönliche Motivation der Mutter. Nimmt man sich als Medizinerin oder Mediziner die Zeit, den Frauen empathisch zu erklären, was ihr Baby braucht, dann schaffen es die meisten, ihren Lebensstil ensprechend anzupassen. Weil sie es für ihr Baby machen und nicht für sich.

Bei mir in der Praxis sind es sicher 90 Prozent, die das völlig ohne Stress hinbekommen. Und sie merken ja auch, wie wohl sie sich fühlen, wenn sie Porridge mit Joghurt und Beeren frühstücken statt ein Marmeladen- oder Nutellabrot. Das Wissen über die fetale Programmierung soll keinen psychischen Druck machen, sondern Freude darüber auslösen, wie mit angenehmen und schmackhaften Änderungen des eigenen Lebensstils viel zur Gesundheit des Babys beigetragen werden kann. Ich glaube, wir unterschätzen die Macht, das eigene Verhalten zu ändern, sofern dieses Wissen publiziert und an Frauen herangetragen wird.